Johanna Bruckner

images by Eike Walkenhorst.

Pressetext

„Wenn ich mit meinem jüngeren Selbst telefonieren würde, und der junge Bill würde mich fragen: ‚Welche coole Technologie trägst du gerade bei dir?‘, dann müsste ich antworten: ‚Ich habe einen riesigen Farbbildschirm in der Tasche, damit kann ich mit der ganzen Welt telefonieren, obwohl er keine Tasten hat, sondern nur Tastenattrappen. Wir sind alle mit diesem unsichtbaren Ding verbunden, das Internet heißt, und die Leute schicken sich damit Katzenbilder und schauen Pornos, und zwar kostenlos.’ Was soll er nur von uns denken?“

Der Mensch ist zunehmend in komplexen Kreisläufen aus Ökologie, Technologie, Ökonomie und vernetzter Realität gefangen. Der physisch-reale und der immateriell-digitale Raum sind durch Netzwerke, künstliche Intelligenzen, digitale Kommunikationstechnologien, Algorithmen und neue Überwachungstechnologien eng miteinander verwoben.

Während der menschliche Körper im 18. Jahrhundert als maschinenartiges System betrachtet wurde und im Zentrum der Welt stand, haben Phänomenologen wie Husserl und Merleau-Ponty die Trennung von Körper und Seele aufgehoben. Sie verstanden den Leib-Körper im Verhältnis zu seiner Umwelt als Ganzes und als Grundvoraussetzung für eine Phänomenologie der Wahrnehmung. In der jüngsten Vergangenheit begriffen Donna Haraway oder Rose Braidotti den Menschen als Spezies unter vielen anderen, vernetzt mit signifikanten anderen. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass der Köper und somit auch das Subjekt immer in Kollektiven und (Ko)Existenzen aus nichtmenschlichen und menschlichen Entitäten wahrgenommen werden muss. Das Subjekt muss seine Handlungs- und Entscheidungsmacht auf die Anwesenheit neuer, diverser Akteure aufteilen. Daraus resultierte die Cyborg-Theorie der 1980er Jahre einerseits, die dem Traum einer körperlosen Intelligenz folgt; andererseits entstand der Post-Humane Ansatz, der sich mit der Überwindung des gegenwärtigen menschlichen Stadiums beschäftigt.

Digitale Ausprägungen hinterlassen wahrnehmbare Spuren auf dem menschlichen Körper und besitzen zunehmend selbst Körperlichkeit.  Körper werden mehr und mehr von unsichtbaren Machtstrukturen durchzogen. Durch die fortschreitende Technologisierung,  lassen sich Körper eingebettet in Netzwerke aus menschlichen und nicht menschlichen Entitäten permanent neu formen und optimieren.

In der Ausstellung Nomadic Bodies untersuchen Johanna Bruckner, Adam Harvey und Annkathrin Kluss diskursive Perspektiven auf die menschliche Subjektivität sowie auf den Körper. Das souveräne Subjekt wird grundsätzlich in Frage gestellt; gleichzeitig werden Formen des menschlichen Widerstandes zwischen der totalen Ökonomisierung und der Präsenz im Internet gesucht. So stellen sich im Ausstellungsraum die Fragen: Wie kann die derzeitige Beziehung zwischen dem digitalen und dem menschlichen Körper verstanden werden? Ist es notwendig, einen Raum zu schaffen, der die Gleichzeitigkeit verschiedener Modi von Körpern und Realitäten denken und verhandeln lässt? Und wie kann diese Verflüssigung von realem und virtuellem Raum schließlich neue Handlungsmöglichkeiten für das Entwerfen einer alternativen Zukunft eröffnen?

Annkathrin Kluss´ Arbeiten verhandeln Identitätskonstruktionen unter Einfluss von Digitalität, Technologie und Ökonomie sowie die daraus resultierende Selbstwahrnehmung und -darstellung. In ihrer Videoinstallation Neo-Chimeras On Images and other Artificialities (2017/2018) baut Kluss ein autarkes System, das auf den ersten Blick unverwüstbar und in seiner Perfektion eingefroren zu sein scheint. Dieser erste Eindruck erweist sich schnell als trügerisch: Kluss’ Versprechen einer einfach wahrnehmbaren und konsumierbaren Utopie stellt sich als ein betrügerisches System der Individualisierung heraus. Das Video zeigt ein Individuum, eine Chimäre unserer Zeit, das durch eine entfremdete Umgebung irrt, versucht sich anzupassen und schließlich zu seiner eigenen generierten Plastikversion wird. Neben der Videoarbeit ziehen sich mit Sand oder farbigen Flüssigkeiten gefüllte Glas-Kupferrohe durch den Raum bis hin zur Decke. Die Flüssigkeiten scheinen uns vertraut, sie erinnern an Produkte aus der Hygiene- und Schönheitsindustrie. Alles scheint bei Kluss’ Installation durch unsichtbare Maschinerien im ständigen Fluss zu sein, sich selbst zu optimieren und zu konsumierbaren, schablonenhaften (Ab)Bildern unserer Zeit zu werden.

In Johanna Bruckners Arbeiten untersuchen die Körper von Performer*innen Formen des menschlichen Widerstandes in den Ausprägungen des gegenwärtigen Kapitalismus’, der mehr denn je durch automatisierte Prozesse und algorithmisch gesteuerte Systeme geprägt ist. In ihrer Videoinstallation Terra X (2018) sehen wir Protestbilder und Hacker-Reden, die sich kritisch gegenüber zweischneidiger Logistik-Software äußern, die meistens in Verbindung mit Kriegsführung stehen. Der erste Teil des Videos entstand als Reaktion auf jüngst entwickelte israelische Software, die unter anderem im globalen Süden von Regierungen im Kampf gegen Terrorismus und kriminelle Organisationen eingesetzt wird. 

Wie algorithmisch gesteuerte Technologien und militärisch entwickelte Software, Finanzflüsse und globale Player mehr denn je unsere soziale Infrastruktur steuern, vertieft Bruckner, indem sie im zweiten Teil den Fokus auf gegenwärtige Entwicklungen in der HafenCity in Hamburg legt. Bruckners Arbeiten basieren auf einer kritischen Auseinandersetzung mit der De-Regulierung von neu entstehendem Wohnraum, von abstrakten Arbeitsbedingungen und Überwachungssystemen, die als Teil des Smart-City Konzepts entstanden sind. 

Als Reaktion und Gegenbewegung unterbrechen und stören die Bewegungen der Körper der Performer*innen, Tänzer*innen und Skateboarder*innen für einen kurzen Moment die algorithmischen Daten- und Kapitalflüsse sowie die Überwachung des öffentlichen Raumes. Der Bezug auf Affizierungen zwischen den Körpern und den Gesten der Akteur*innen kann ein alternatives Modell der Solidarität, der gesellschaftlichen Subjektivität, der körperlichen Arbeit und des menschlichen, körperlichen Widerstandes innerhalb dieses abstrakten Netzwerkes bieten.

Für ihre neue Performance Terra X (2018) entwickelt Bruckner einen Holochain Smart Contract, indem demokratische Formen dezentralisierten Interagierens im Mittelpunkt stehen.

Die zweiteilige Videoarbeit Machine Learning City: Camera A (2018) und Machine Learning City: Camera B (2018) des Wissenschaftlers, Medienkünstlers und Aktivisten Adam Harvey ist eine Fortsetzung seiner Untersuchungen und Forschungen zu den gesellschaftlichen Auswirkungen von Überwachungssystemen und vernetzen Datenanalysetechnologien. Harvey untersucht dabei Fragen und Begriffe, die im Zuge der Digitalisierung liquide geworden sind: Wie definieren sich der private und öffentliche Raum? Haben wir das Recht auf das eigene Bild? Und wie strukturieren Überwachungssysteme den öffentlichen Raum neu? Haben wir das Recht, „nein“ zu sagen? Wer hat die Macht über unsere Daten? Und welche Rolle werden Städte und ihre Bewohner*innen in der Bereitstellung von Daten zukünftig spielen? 

Im Fokus seiner im Rahmen von Nomadic Bodies gezeigten Arbeit steht die Auseinandersetzung mit digitalen Bildtechnologien, die, wie Harvey an einem Fallbeispiel in Graz zeigt, bei Überwachungskameras mit Gesichtserkennung zum Einsatz kommen. Beide Videos präsentieren eine Vielzahl an Überwachungsbildern von körperlichen Bewegungsmustern zahlreicher Passanten in verschiedenen Szenerien im öffentlichen Raum der Stadt Graz. Die daraus abstrahierten Bildinformationen und Daten-Sets wurden genutzt, um Algorithmen zu trainieren, die eine künstliche Intelligenz für maschinelles Sehen und Überwachungs-Strategien weiterentwickeln sollen.